Dieser Katalog macht deutlich, wie sehr P. sich der abstrakten Kunst verbunden fühlt. Er enthält Werke von Mitte der 90er Jahre bis Ende des Jahres 1998, die entstanden sind in Orten wie Berlin, der Küste Delawares (USA), Hohenpeißenberg, Bayern, – P. hatte dort sein Atelier von 1995 bis 1998 – und seinem Heimatort Peiting, Bayern, wo sich sein Atelier heute befindet. Das Schwarzweißfoto auf der folgenden Seite ist eine Detailaufnahme eines verlassenen Bohrturmes, den P. 1998 an der Skeleton Küste in Namibia fotografierte. Die Art und Weise, wie P. die sich abblätternde Farbe und das zerfressene Metall festhält, ist bezeichnend und veranschaulicht seine künstlerische Absicht, den Verfall aufzuhalten, in diesem Fall durch das Medium der Fotografie. P. Kunst verwandelt weggeworfenes und oft fragiles Material in etwas Stabiles und Dauerhaftes: So wird beispielsweise aus einem einfachen Papier von billiger Qualität eine Oberfläche, die vollkommen geschützt ist durch Schichten von Leim, Acrylic, Fixiermittel und Binder, so daß sie fast metallisch erscheint. “Ich hebe alles auf und gebrauche alles”, sagt P. Scheinbar mißlungene oder fehlerhafte Bilder werden zur Seite gelegt, um später wiederverwendet zu werden. Während die Bildoberflächen eher geheimnisvoll bleiben, sind es die Kompositionen, die durchdringen und ergreifen. Die Werke weisen oft unregelmäßige Umrisse und geschwungene Ränder auf. In jedem einzelnen Detail offenbart sich seine bedeutende Rolle als Teil eines untrennbaren Ganzen. Das Gleichgewicht der bildnerischen Elemente, die von dramatisch bis zu fein und subtil reichen, ist jedoch voll berstender Spannung. Einer der ersten Sammler bemerkte, daß die Werke von P. eine “wilde Schönheit” einfangen würden. Nach der Rückkehr von einer Reise nach Andalusien im Jahr 1994 entstanden die ersten abstrakten Werke. Wie es seine Gewohnheit ist, stellte P. zunächst eine Reihe von streng naturalistischen Zeichnungen her – er ist ein begabter Zeichner -, und danach fing er an, mit einer neuen Form zu experimentieren: zunächst eine umfassende Behandlung von Abfallmaterial wie Packpapier und abgenutzten Stoff, worauf er dann eine Bleistiftzeichnung von einem gefundenen Gegenstand wie z. B. eine hufeisenförmige Krabbenmuschel setzt. Diese neue Richtung in seinen Arbeiten verfolgte P. weiterhin in seinem Atelier in Hohenpeißenberg. In Berlin, wo er 1995 zum Studieren ging, machte er eine weitere Entdeckung: Ohne den traditionellen Zeichenstrich zu benutzen, stellte er Werke von beachtlicher Ausdruckskraft her. P. war an einem Wendepunkt angelangt. Sorgfältig abstrakte Bilder entstanden teilweise aus Eindrücken und Erinnerungen, teilweise aus zufälligen Wechselwirkungen von gefundenen Materialien, wie auch aus Entdeckungen, die gemacht werden, wenn Kunst als offener Prozeß ohne absehbares Ende verstanden wird. Zwei der neuesten Werke, “Berlin Cargo 1” und “Berlin Cargo (backside)” veranschaulichen diesen Prozeß. Beide sind auf Altpapier mit sozusagen “eigener Geschichte” gemacht worden. Billig produziert in der ehemaligen DDR und zu Abfall geworden, wurde dieses Papier zum “Löschpapier”, auf dem P. Kunst kreiert. Bei seiner Abreise einige Monate später aus Berlin diente dieses Material wiederum als Einpackpapier und damit als Schutz für seine neuen Arbeiten. Erst im Sommer 1998 war P. so weit, dieses Material zu erforschen und seine Erfahrungen in Berlin anzuzapfen und wiederzubeleben. Beide großen paarweise zusammengehörende Bilder weisen mehrere Schichten auf, sind reich an warmen, erdigen Farben und wurden durch ein Klebeband in mehrere Abschnitte abgeteilt. Sie erinnern etwas an die Gärten von Klee. Gleich sich nahestehenden Zwillingen leuchten beide von innen, als ob Wasserfarben benutzt wurden, nur ist die Wirkung noch dichter – durchsichtig, zähflüssig, volltönend. In P. Werken geht es letztlich um die Oberfläche und die darunter liegenden Schichten. Meistens kann man nicht identifizieren, welches Material benutzt wurde: eine Einkaufstüte, ein altes Hemd, eine Tapete, ein Platzdeckchen. Runzlig gefaltet, voller Flecken, verletzbar. P. Kunst scheint zur ständigen Verwandlung fähig. Sie erscheint wie lebende Haut oder sogar wie bloßgelegtes Fleisch. Es geht nicht um das Zudecken, sondern das Innere soll nach Außen gekehrt werden durch die transparenten oder kräftigen Farben, durch die Struktur und Gesamtwirkung von kaum gezügelter Lebhaftigkeit. Die zerrissenen, ausgefransten Ränder der Werke erhöhen diese Vitalität. Um diese Wirkung zu erzielen, benutzt P. eine erstaunliche Vielfalt von Materialien, industriellen Anstrich, Konservierungsmittel, Leime und Beize und bearbeitet diese auf unterschiedliche Weise. Einige Farbtöne resultieren aus den entsprechenden Verarbeitungsmethoden, z. B. einige Brauntöne ergaben sich, nachdem P. mit einem Lappen auf einem Radierungsuntergrund wischte. Für andere Farbtöne wurde braune Asche benutzt, die durch das Verbrennen von Koks im Ofen entstanden ist. Er bevorzugt amerikanischen Holzleim, “weil er wie Wachs trocknet und milchig ist.” P. sagt, daß er nie ausschließlich nur an einem Werk arbeitet. “Für mich ist das unaufhörliche Anschauen des Werkes wichtig. Ich behandle Untergrunde wieder und wieder, bis ich eines Tages erkenne, daß das Werk beendet ist.” Er wartet darauf, daß etwas passiert. “Ich suche immer nach den am meisten ästhetischen Teilen. Es ist wie eine Art des Beobachtens. Ich spreche Dinge an, die vielleicht niemand anderes sehen wird.” Er fügt hinzu: “Was ich spannend finde und mag, sind die Wirkungen, die ich entdecke und welche ich in meiner nächsten Arbeit erforschen kann.” P. Kunst scheint das zu umfassen, was der Kunstkritiker Robert Hughes bezeichnet als “the Romantic extremes of the near and far” (die Extreme der Romantik von Nah und Fern). Der Blick kann mikroskopisch sein, gleichzeitig jedoch scheint er von oben auf die Erde gerichtet zu sein. Eine Perspektive, die erst kürzlich entdeckt wurde. Weltraum, den man auch als eine Landschaft verstehen kann, die durch einen anderen “Sucher” geschaut wird. Für den Künstler P. gibt es weder die eine noch andere “richtige” Assoziation, sondern alle sind zutreffend. Er sucht Schönheit, er will Beziehungen herstellen und Verbindungen auslösen, und er will emotionale Bedeutung. Seine Titel reichen von anscheinend literarischen wie “Weltraum Nacht” und “Bluemilkvalley” über eine Kode ähnliche Reihe von Buchstaben und Zahlen, bis hin zu Titeln wie “Die neugierigen Pläne des Herrn. L.” Seine Titel sind meistens verspielt oder hinzu gefügte poetische Namen. Viele Arbeiten haben überhaupt keine Titel. Handelt es sich bei Ps. Werken um Zeichnungen oder um Malerei, oder was? P. versteht seine Werke als Zeichnungen, was beinhaltet, daß er genau nach dieser Ausgangsfrage verlangt. Wie Kurator John Elderfield bemerkte: “Von allen Gattungen der modernen Kunst widersteht die Zeichnung am meisten dem Versuch einer Definitionen.” Die klassisch konventionelle Vorstellung von Zeichnung als “Arbeit auf Papier” untergräbt P., indem er häufig Leinwand benutzt oder Stoffe von seltsamen und auch komischen Ursprungs, wie z. B. eine Schürze, die er beim Drucken trug oder eine Plane, die Feuer fing. Bevor Pollock und de Kooning, Beuys und Twombly in der Zeichnung die Kraft der Malerei entdeckten, diente die Zeichnung üblicherweise als experimentelle Vorstudie für ein spezielles Gemälde oder eine Skulptur. Die Zeichnungen von P. sind im modernen Sinne intensiv und aufwendig erarbeitet und überarbeitet, bis sie den Grad hoher Vollendung erreichen. Während die traditionelle Zeichnung normalerweise nur einen einzigen Untergrund mit vier klaren Seiten aufweist, gebraucht P. viele Materialien, die er mit Klebeband zusammensetzt, oder wie in seiner großen Webearbeit flechtet er zunächst den ganzen Untergrund aus einzelnen Streifen zusammen. Seine Technik ist eigentlich die einer Collage, die Matisse als eine “mit der schere zeichnen” nannte. Fast alle seine Werke bestehen aus zwei oder mehreren Teilen, die genau aufeinanderpassen oder sich überlappen. Werke, die nicht mehrere Schichten aufweisen, sind eher die Ausnahme, wie seine letzten großen Bilder. Tatsächlich fühlt sich P. den Künstlern der frühen Collage Technik, insbesondere Kurt Schwitters, sehr verbunden. Auch der Gebrauch von Textschablonen zeigt seine Nähe zu den Pionieren der Collage Technik. In P. Gesamtwerk findet sich ein hochentwickeltes Vokabular. Dazu P.: “Ich benutze meine Kunst als Sprache.” Außer gefundenem Material und das Anwenden von z. B. Klebeband, das verborgen bleibt, das Bearbeiten von Radierungsuntergrund, Einsetzen roter Pigmente, fügt er häufig ein leichtes Gitter von Linien oder Parallelen hinzu, die er präzise mit einem schweren Metallineal aufträgt. Damit verweist P. eindeutig auf die Mathematik und Vernunft oder in seinen eigenen Worten “auf einen Plan und ein System, da sich in sich fortsetzt.” Dieses geheimnisvolle Netz ist gleichwohl kaum sichtbar gleich blauen Adern, die durch die Haut hindurch schwimmen. Trotz all der Schönheit, sind die Werke P. weit davon entfernt, konventionell gefällig zu sein. Für den aufmerksamen Betrachter offenbaren sich ihre emotionale Dichte, ihre intellektuelle Subtiltiät, Funken von Assoziationen, die durch die Geschichte der Westlichen Kunst schlagen, wie auch das unverkennbare Gespür für das aktive Engagement des Künstlers noch im kleinsten Detail seiner Werke. Abstrakte Kunst, die sich nicht von der Realität wie Landschaft, Stilleben oder menschlicher Körper ableitet, ist recht neu. Sogar die Kunst des Abstrakten Expressionismus hat ihre Wurzeln in der heroisch-idealisierten Landschaft. Auch die Linienführung, die nicht umreißt und beschreibt, ist neu. P. kreiert eine neue Form der Schönheit – ein Konglomerat an ästhetischen Strömungen des ausgehenden 20. Jh. -, wie auch eine starke körperliche Kunst, die sich sicher behauptet gegen die pyrotechnischen Schmeicheleien des Infromationzeitalters.
Tom Parrett, N.Y. 1998
Peter-Mayr, Works 1995 – 1998 This catalog marks Peter Mayr as a dedicated abstract artist.It includes work from the mid-1990s to late 1998, and principally from Berlin; the Delaware shore, U.S.; Hohenpeißerg, Bavaria – where Mayr had a studio from 1995 to 1998 – and his hometown of Peiting, Bavaria, where his studio is today. The black-and-white photograph at the start of this introduction is a detail of abandoned oil drilling equipment he photographed in 1998 on Namibia´s Skeleton Coast. How he framed the peeling paint and corroding metal is significant; so is the arresting of decay through artistic means – in this case, a photograph. Mayr´s art transforms discarded and often fragile materials into something strong and durable – for example, decaying, low-grade paper into a surface that´s thoroughly portected by glues, acrylics, fixatives and binders so it seems almost metallic. “Isave and use everything,” he says. He sets aside his mistakes for possible reuse. He is a compulsive recycler of residue, particularly if it has emotional content for him. Mayr spends less on materials than on diesel fuel for his car. Peter Mayr began producing abstract arrt following a trip to sub-Saharan Africa in 1994. As is his habit, he drew a series of rigorous, naturalistic pencil renderings. (Mayr is a natural draftsman.) In Andalusia a few months later, he began to experiment with a new form – all-over treatments for waste paper such as wrappers and bags and discarded cloth. He added pencil renderings of a horseshoe crab shell he found on the beach. He pursued this new direction in Hohenpeißenberg. In Berlin, where he went to study in 1995, he make a further discovery: he could produce works of considerable power without line. Mayr had arrived at a significant point of departure: Painstaking abstract images made up partly of impressions and memories and partly of the accident of found materials, of the discoveries that emerge when art is an open-ended process. Two of the most recent pieces here, “Berlin Cargo 1” and “Berlin Cargo (reverse),” offer a window into this process. Both are built up of waste paper with a history. Produced cheaply in the DDR and discarded, this paper was the blotter on which Mayr made art. When he returned from Berlin some months later, he wrapped his new pieces with it. Not until summer 1998 was he ready to explore this material and tap his Berlin experience. Layered, rich in warm, earth-brown hues, taped into sections a bit like a Klee garden, these large works glow from within as if watercolors but richer – limpid, liquid, ambiguous. Mayr´s work is ultimately about surfaces and the layers beneath them. Wrinkled, folded, blotted, delicate, vulnerable, his art seems capable of continued change, even after framed – as if it where alive. It is living skin or even exposed flesh. But not a covering, an integument: it is the internal made external, through transparency or richly hued coloration, texture and animation of parts. To achieve these affects Mayr uses a surprising range of materials, many of them industrial coatings, preservatives, and stains. His colors come from the treatments – his browns, for instance, are often the result of vernis noir, a coffee-brown French fixative produced for printmaking, which he rubs on with a rag. “I never work on one piece at a time,” he says. “For me it is the seeing of the work. I keep treating undergrounds until one day I see that the piece is finished.” He waits for something to happen. “I always look for the most aesthetic parts. It´s just another kind of watching. I´m addressing things maybe no one else will see.” He adds, “What I like is the effects I discover, which I can explore in the next work.” Mayr´s work seems to embrace what critic Robert Hughes calls “the Romantic extremes of the near and far.” It can seem microscopic. At the same time, it can suggest the earth from a perspective only recently available to us, space – which, of course, is landscape viewed through a different viewfinder. For Mayr, neither is the right or exclusive association, they are merely felicitous. He intends beauty, he intends connections, and he intends ambiguity of meaning. His titles range from the seemingly literal “Space night” and “Bluemilkvalley” to a codelike sequence of letters and numbers to “The Curious Inventions of Mr. L.” In fact, his titles are mostly a playful or poetic appended name. Many works have no title at all. Are these Mayrs drawings or paintings or what? Mayr thinks of them as drawings, but this begs the question. As curator John Elderfield has said, “Of all the modern arts, drawing is most resistant to definition.” An od idea – work on paper – Mayr subverts by his frequent use of canvas and cloth, although of odd or even comic origin such as an apron he wore when printmaking or an awning that caught fire. One thinks of drawings as casually rendered, perhaps experiments toward a major painting or sculpture, but many Mayr drawings were laboriously worked and reworked, with various treatments and preparations applied over many months. Unlike many drawings, which concentrate on select areas of ground, Mayr´s drawings saturate through the edges, in what Robert Hughes calls “the tradition of visual`all-overmess,” though in this regard Mayr probably owes as much to Giorgione as to Seurat and Pollock. Also, drawings tend to use a single sheet of paper or material, but Mayr employs many materials, piecing them togetherr with tape or – in his large woven pieces – painstakingly constructing the ground itself from scratch. This technique is effectively collage. Most of his pieces have two or more sections of fitted or overlapped material, and some consist of numerous sections of precisely cut sizes. It is a rare Mayr that is not multilayered, recent large canvases being notable exceptions. Indeed, Mayr feels an affinity for the early collage makers, particularly Kurt Schwitters, and his occasional use of bits of stenciled text offer another link to the form´s pioneers. There is in this body of work a highly developed vocabulary. As Mayr says, “I am using my art as a language.” Beyond found materials and certain treatments, such as masking tape and vernis noir and red pigment, Mayr often imposes a faint grid or parallel lines, which he draws or scores the width of a heavy metal ruler. These are clearly an appeal to mathematics, to reason – as he puts it, to “a plan” and “a system that continues.” Yet they can be nearly invisible, a mysterious net, the blue veins that shine through a piece´s skin. For all their beauty, Mayr´s pieces are far from conventionally appealing. But for the dedicated viewer, they provide emotional power, intellectual subtlety, sparkpoints of association that can range over much of Western visual art, and an unmistakable sense of the artist´s active and intense engagement in the minute detail of his art. Abstract art that is not derived from physical reality – landscape or still life or the human body – is fairly recent. Even the Abstract Expressionists were grounded in the idealized landscapes of the Luminists. It is likely that Mayr has created a new kind of beauty – a coming together of many aesthetic currents in the 20th century – while offering a physical art that stands secure whatever the pyrotechnic blandishments of the Information Age.
Tom Parrett, Übersetzung:Irene Mees, N.Y.1999